[Discuss] [Wien] FunkFeuer in Baden

Erich N. Pekarek (spam-protected)
Sa Jan 2 00:38:35 CET 2016


Hallo!

Am 2016-01-01 um 21:30 schrieb Stefan:
> Hallo Petr und Mitleser,
>
> nach ein paar Stunden weiterem Lesen, hat mir unter anderem dieser 
> Thread ein bisschen die Augen geöffnet: 
> http://forum.funkfeuer.at/viewtopic.php?id=51
Diskussionen, die nicht unmittelbar mit dem Betrieb und der Planung des 
Netzes in Wien zu tun haben, sind auf der ML discuss besser aufgehoben.
Ich richte meine Antwort dorthin und ersuche darum, die Wien-Liste in 
etwaigen Folgepostings auszusparen.
>
> Es scheint, als sei Funkfeuer doch relativ weit vom deutschen 
> Freifunk-Ansatz entfernt: Mit freiem Internetzugang für alle 
> Aufmerksamkeit und Verbreitung zu erreichen.
Die Technologie ist grundsätzlich dieselbe. Über den Begriffshof von 
"Community" und über die Angemessenheit der verschiedenen Ansätze kann 
man trefflich streiten. Es gibt hier kein "Richtig" oder "Falsch".
Auch kann man nicht davon ausgehen, dass alle Teilnehmer des 
Funkfeuernetzes die selben Anforderungen an Netz und Community stellen. 
Die Meinungen sind so unterschiedlich wie die politischen und 
weltanschaulichen Gesichtspunkte, die einzelne Mitglieder vertreten. Man 
kann dies wahrlich nicht über einen Kamm scheren und sodann darüber 
urteilen.

Offengestanden empfinde ich es als beleidigend und respektlos, ein 
Community-Modell über das andere zu stellen, oder verschiedene Modelle 
nur unter wenigen Teilaspekten zu vergleichen - dies wird dem Wesen und 
der Diversität der Projekte und der dahinterstehenden Menschen in keiner 
Weise gerecht. Man braucht eine Weile, das zu erkennen - es war wohl bei 
mir nicht anders.
Jedenfalls hemmt es meiner Meinung nach die berechtigte Diskussion, wenn 
schon zu Beginn der erhobene Zeigefinger schwenkt, sodann in Richtung 
Deutschland weist und es dazu schallt: "so muss das!".

Davon abgesehen halte ich von dem Einheitsbrei recht wenig: Im 
übertragenen Sinn: Ich muss keinen Hering in Lebkuchensauce -der Dir 
vielleicht schmeckt, aber nicht mir- haben, wenn ich stattdessen einen 
Kaiserschmarrn, der mir schmeckt, haben kann - ich werde aber auch 
meinem Gastgeber, nicht vorschreiben, was er zuzubereiten hat. Anders 
verhält es sich, wenn wir zusammentreffen, um Kochrezepte austauschen 
oder gar gemeinsam kochen bis es uns beiden schmeckt.

In diesem Sinne gehe ich gerne näher auf Deine Kritikpunkte ein.

> >Einfach den Freifunk-Router am Fenster aufstellen und schon verbindet 
> er sich [sic!] anderen Freifunk-Knoten in Deiner Nachbarschaft." [1]
> ist bei Funkfeuer anscheinend nicht gar so einfach (bzw. nicht 
> erwünscht).
Die Stärke von Funkfeuer besteht meines Erachtens darin, verstärkt auf 
den Faktor Mensch zu setzen und nicht den Faktor Technologie als 
alleinigen Problemlöser zu sehen. Überlegungen und Ansätze hin zu einem 
vollautomatisierten "Provisioning" gibt es immer wieder, und das ist 
auch gut so, nur hat sich noch kein Ansatz durchgesetzt.

Man muss Funkfeuer meines Erachten auch im Hintergrund seiner 
Entstehungsgeschichte sehen, um es zu verstehen: Die ersten Knoten sind 
aus einem gescheiterten kommerziellen Projekt hervorgegangen, der 
Mesh-Ansatz ist erst mit dem Aufkommen billigerer Hardware an seine 
Stelle getreten - persönliches Kennenlernen und gegenseitiges Helfen 
sind von daher wohl auch schon deshalb besonders ausgeprägt.
Eine grundlegende Entscheidung der damaligen Kernmannschaft war die 
Nutzung von öffentlichen IPv4-Ranges, wie Akku schon dargelegt hat.
Freier Internetzugang hierüber war bei Funkfeuer eher das "Goodie" nicht 
der Beweggrund und Daseinszweck. Funkfeuer hat sich nie als Provider 
gesehen, sondern als technisches und soziales Experiment mit Verantwortung.
Ich persönlich sehe es als Plattform, die den Nutzern den größtmöglichen 
Spielraum für eigene Projekte bietet. (siehe Einleitung ~ eigene 
Kochnische).

Hinzu tritt, dass das von vielen Communities als unmittelbar anwendbar 
betrachtete Pico Peering Agreement als Basis einer Community in 
vielerlei Hinsicht viel zu wenig konkret wird und -so haben es seine 
Urheber laut Präambel erdacht- nur eine ungefähre Richtlinie ist, die 
sich ja nur an Communities und nicht den Einzelnen richtet. Es besteht 
also Spielraum hinsichtlich der notwendigen (Selbst-)Regelungsintensität.
In diesem Punkt denke ich persönlich, dass andere Communities den Sinn 
und Zweck des PPA zum Teil verkennen.
>
> Auch das folgende sehe ich bei Funkfeuer nicht in dieser Art:
> >Muss ich zu den Treffen, wenn ich nur einen Router aufstellen möchte 
> oder gelegentlich das WLAN mit meinem Smartphone nutze? - Nein. 
> Freifunk funktioniert auf freiwilliger Basis. Jede_r bringt sich so 
> ein, wie er oder sie es für richtig hält. Eine Verpflichtung besteht 
> nicht. [2]
Eine Verpflichtung zum Mitmachen besteht auch bei Funkfeuer nicht. Es 
steht jedem frei, mitzumachen oder auch nicht oder, falls doch, gar 
eigene Projekte darauf aufzubauen. Öffentliche IPs bieten hierzu 
schlicht einen größeren Gestaltungsspielraum, erfordern aber auch einen 
gewissen Verwaltungsaufwand.
Was Du hinter der öffentlichen IP machst, das liegt grundsätzlich in 
Deinem Ermessen. Adressraumverwaltung ist (intern) meines Wissen auch 
bei Freifunk vonnöten, um keine Kollisionen herauszufordern. (Ausnahme: 
OLSR mit Hennings APIPA-Erweiterung).

> Der Grad der Verpflichtung scheint bei Funkfeuer viel größer zu sein, 
> und wirkt auf mich persönlich abschreckend.
Zum Thema des Abschreckendseins:
Woraus im Leben entstehen keine Verpflichtungen oder gar Konsequenzen?
Ein Bürgernetzwerk, das auf Gegenseitigkeit beruht, erfordert aus meiner 
Sicht auch gegenseitiges Vertrauen.
Vertrauen, dass der Anschluss nicht missbräuchlich (insbesondere wegen 
der öff. IP-Ranges) benutzt wird, und Vertrauen, dass Anschlüsse nicht 
aus Jux und Tollerei abgeschaltet werden. Beides kann rein technologisch 
auch nicht garantiert werden.

Wer Anonymität und Volatilität bevorzugt, ist freilich bei einem rein 
auf Autokonfiguration basiertem Ansatz besser aufgehoben, darf sich aber 
auch nicht wundern, wenn einmal etwas nicht wie geplant funktioniert und 
der richtige Ansprechpartner erst noch ausfindig gemacht werden muss.

Bei Funkfeuer haben wir uns entschieden, den damals eingeschlagenen Weg 
zwar weiterzugehen, aber das heißt nicht, dass neue Ansätze nicht 
diskutiert werden - eher ist das Gegenteil der Fall.
Wer konkrete oder auch nur vage Ideen hat, kann sie einbringen oder 
selber verwirklichen, solange damit keine Beeinträchtigung für andere 
Nutzer entsteht.
Mahnende Worte des Core-Teams gehören zu diesem Prozedere dazu und sind 
durchwegs berechtigt.

Lediglich für die Unterstützung durch den Verein selbst sind 
Willensbildungsprozesse im Rahmen der Statuten erforderlich. Das ist 
auch richtig und gut so, denn der Verein ist gegenüber der RIPE für den 
zugewiesenen Adressraum einerseits und gegenüber den Behörden für sein 
sonstiges Handeln rechenschaftspflichtig.
Unter diesem Aspekt verstehe ich auch den Appell, nicht vom Vorstand zu 
fordern, dass er etwas tun soll, wenngleich ich ihn aufgrund der 
Statuten als Regulativ sehe, als das er oder einzelne 
Vorstandsmitglieder sich selbst zeitweise nicht sieht oder nicht sehen.

Vermutlich sollte man die Funkfeuer-Community primär als 
(gesellschaftspolitisch) unpolitische Interaktion von Menschen 
verstehen, die gemeinsam Technologien erforschen, entwickeln, der 
Allgemeinheit zur Verfügung stellen, nutzen, erproben und lehren und 
zwar unter dem Aspekt einer von den Teilnehmern grundsätzlich von allen 
aus Eigennutz erstrebten, größtmöglichen Stabilität.

Der Community steht der Verein als von einigen Akteuren de facto nicht 
gewollte, aber notwendige juristische Person zur Seite.
Daraus erklärt sich auch, wieso Funkfeuer kein Marktauftreten entwickelt 
hat, wie es bei Freifunk der Fall ist.
Funkfeuer ist (in Wien) nun einmal kein Charity-Produkt, sondern eine 
vielgestaltige Gemeinschaft, der ein gemeinnütziger Verein zur Seite 
steht und dem der einzelne Nutzer mittlerweile auch als vollwertiges 
Mitglied angehört.

>
> Vielleicht ändert sich das ja in Zukunft. Ich werde trotzdem mit 
> Interesse die Entwicklung der freien Community-Netze verfolgen.
Beide Modelle haben ihre Berechtigung. Ich denke, dass die angestrebte 
Stabilität hier dennoch im Fokus bleibt. Mit dem weiteren Rollout von 
IPv6, der Erprobung anderer Routingprotokolle und Transition-Mechanisms 
werden sich die Konzepte von Freifunk und Funkfeuer bis zu einem 
gewissen Grad ohnedies weiter annähern. Vielleicht wird's ja ein 
Lebkuchenschmarrn - nur auf das gemeinsame Kochen werden werden wir 
nicht verzichten - sonst könnten wir ja gleich marktregionale 
TK-Einheitsfertigware nehmen, oder?

Und falls sich nichts ändern sollte, aber die Nachfrage nach einem mehr 
Freifunk-artigen Netz wächst - warum initiierst Du es nicht? Es gibt 
keinen Grund, warum nicht Platz für Beides sein sollte, und man sich 
dort, wo es notwendig ist, gegenseitig unterstützt. Wie gesagt: Ich sehe 
Funkfeuer als Plattform, nicht als Produkt. (oder als Küche, nicht als 
Fertigmenü).


> LG Stefan
>
> [1] http://freifunk.net/worum-geht-es/technik-der-community-netzwerke/
> [2] https://hamburg.freifunk.net/haufige-fragen
>
SG
Erich
> ...
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